Mitteldeutsche Zeitung, 6. November 2024

Die Geschichten der Familien Luther aus Drohndorf und Schneidewind aus Mehringen sind seit Jahrhunderten miteinander verwoben. Auch heute noch wird der Kontakt aufrechterhalten.

Das Wappen der Familie Schneidewind
FOTO: KURT GROßKREUTZ
Von Johann Schneidewind (geboren 20. Dezember 1519 in Stolberg, gestorben 6. Dezember 1568 und bestattet 1568 in Wittenberg) existieren zeitgenössische
Abbildungen. Albrecht gab eine Abbildung aus dem 16. Jahrhundert in Auftrag, um daraus dieses Gemälde malen zu lassen. Es hat seinen Platz in seinem Haus
gefunden und wird von Peter Luther (links) und Albrecht Schneidewind als sein Urenkel in 13. Generation begutachtet. FOTO: KURT GROßKREUTZ
Das Wappen der Familie Luther
REPRO: KURT GROßKREUTZ

Von Kurt Großkreutz

Drohndorf/Mehringen/MZ. Rund um den Reformationstag am 31. Oktober wird jedes Jahr an den Reformator Martin Luther (1483 – 1546) gedacht. Auch wenn der weltweit berühmte Eislebener nie in Aschersleben weilte, so kann heute festgestellt werden, dass nicht nur der Name Luther häufig an Wipper und Eine vorkommt, sondern dass im Ascherslebener Ortsteil Drohndorf sogar eine echte Luther-Familie anzutreffen ist.

Peter Luther ist 1942 auf dem Lutherhof in Drohndorf zur Welt gekommen, wohnt in der Luther-Straße und hat mit Martin Luther gemeinsame Vorfahren, die bis ins Jahr 1295 zurückverfolgt werden können.

Luthers in Drohndorf

Die Luther-Geschichte in Drohndorf begann etwa 1536, als Jakob Luther (1490 – 1571), der jüngste Bruder des Reformators, wahrscheinlich für seinen Sohn Johannes einen Bauernhof im Dorf an der Wipper erworben hatte. Jakob Luther war nicht nur Erbe mehrerer Bergwerksgruben, sondern auch sonst fleißig in der Mansfeldischen und Harzer Region unterwegs. So fungierte er unter anderem als Ratsherr in Aschersleben und Bürgermeister in Mansfeld.

Der Hof ging später an den Gutsbesitzer und Richter Peter Luther (1580 – 1627) über und wurde 1601 von ihm neu errichtet. Im Laufe der Jahrhunderte gab es zeitweise drei Luther-Höfe in Drohndorf. Der heute verbliebene Luther-Hof wird durch Peter Luthers Sohn Kai und seine Familie bewohnt sowie bewirtschaftet.

Peter Luther hat das benachbarte ehemalige Pfarrhaus restauriert und ist dort nach seinem langjährigen Berliner Aufenthalt als Immunologe und Politiker 2018 eingezogen.

Schneidewinds in Mehringen

Wenige Kilometer flussabwärts wohnt die Familie Schneidewind in Mehringen. Ihre Vorfahren sind seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 in Mehringen ansässig.

Die Geschichte der Familie Schneidewind lässt sich jedoch bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Albrecht Schneidewind, der ehemalige Bürgermeister von Mehringen, studierte Chroniken, Kirchenbücher und verbrachte viel Zeit in den Archiven, um seinen Stammbaum zu erforschen. Dabei stieß er auf eine überraschende Beziehung zwischen der Familie des Reformators Martin Luther und der Familie Schneidewind, die über 500 Jahre zurück liegt.

Die Spur führte in die Thomas-Münzer-Stadt Stolberg. Dort diente der gräflich stolbergische Rat und vormalige Rentmeister (Finanzbeamter) Heinrich Schneidewein (auch Heinrich Schneidewin und Heinrich Snydewint, geboren um 1457 in Wiehe, gestorben 1530 in Stolberg). Er war ein vertrauter Freund Martin Luthers. Er und seine Frau Ursula, geb. Schweinfurt (1485 – 1549), hatten elf Kinder.

Erster Kontakt

Der Sohn Johann, der für den Stammbaum von Albrecht Schneidewind von Bedeutung ist, wurde 1519 in Stolberg geboren. Er immatrikulierte sich bereits in seinem zehnten Lebensjahr 1529 an der Universität Wittenberg. Dort fand er für fast zehn Jahre als Hausgenosse im Hause Martin Luthers Aufnahme.

Er absolvierte zunächst ein Studium der sieben freien Künste. Diese sind folgendermaßen zusammengefasst: „Die Grammatik redet, die Dialektik lehrt das Wahre, die Rhetorik färbt die Worte, die Musik singt, die Arithmetik zählt, die Geometrie misst, die Astronomie lehrt die Gestirne.“ So vorgebildet widmete er sich einem Studium der Rechtswissenschaften.

Luther riet und vermittelte ihm, sich im Alter von zwanzig Jahren mit Anna Döring, der Tochter des angesehenen Wittenberger Druckers und Verlegers Christian Döring, zu verheiraten. Dieser hatte zusammen mit seinem Geschäftspartner Lucas Cranach dem Älteren das Septembertestament Luthers von 1522 und weitere Werke Luthers verlegt. Überliefert ist auch, dass mit seinen Wagen und Pferden Luther zum Reichstag nach Worms gebracht worden war.

1539 heirateten Johannes Schneidewind und Anna Döring in Wittenberg. Aus der Ehe gingen 16 Kinder hervor. Johannes wurde promoviert und als Dr. Schneidewind gehörte er nicht nur zu den angesehensten Rechtswissenschaftlern seiner Zeit. Er bekleidete auch hohe Ämter, wie etwa Kanzler am Hof des Grafen Günther von Schwarzburg in Arnstadt oder Vertreter des Kurfürsten am Reichskammergericht in Speyer. Als Johannes 1568 starb, wurde er in der Schlosskirche Wittenberg, unweit des Luthergrabes, beigesetzt.

Für Albrecht Schneidewinds Herkunft war von den 16 Kindern der Sohn Johannes Schneidewind (1541 – 1617) von Bedeutung.

Der Weg nach Mehringen

Es war eine Familie Buch, die nach dem 30-jährigen Krieg nach Mehringen kam. Der Ort war völlig verwüstet und die meisten Bewohner wurden Opfer der häufigen Überfälle der durchziehenden oder lagernden Soldaten und Banditen. Die wenigen Überlebenden waren geflüchtet und der Ort war menschenleer. Familie Buch gehörte zu denen, die in Mehringen nach 1648 eine neue Bleibe suchten und fanden. Unweit der Wipper entstand der Hof der Familie.

Fast 200 Jahre später kam es im Jahr 1845 dazu, dass ein Johann Gottfried Schneidewind (geboren 1820 in Hübitz/Gerbstedt, gestorben 1856 in Mehringen) Marie Sophie Buch in Mehringen heiratete. Er übernahm nach der Trauung den Gutshof der Familie Buch, der seitdem als Schneidewindscher Bauernhof bezeichnet wird. In dieser Familientradition steht auch der Diplomlandwirt Albrecht Schneidewind, der 1948 in Mehringen geboren wurde und den Hof von seinem Vater, dem Diplomkaufmann, Ingenieur und Landwirt Walter Schneidewind (1911 – 1994) übernommen hatte.

Neue Freundschaft

Die Familien von Otto Luther (1903 – 1992) und Walter Schneidewind (1911 – 1994) verband eine lange und intensive Freundschaft. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg traf man sich regelmäßig zum „Kaffeekränzchen“.

Zu dem Kreis der Familien gehörten mehrere Großbauern aus der Umgebung. Aber auch der Fuhrunternehmer Max Rabe, der Arzt Dr. Abesser oder der Konditor Hörnig waren Stammgäste bei den Feiern anlässlich von Geburtstagen, Fasching, Jahreswechsel oder Hochzeiten. Beinahe an jedem Wochenende fand man eine Gelegenheit, um sich zu treffen und mit Musik, Tanz und guter Laune ausgelassen zu feiern.

Die damaligen Kinder Albrecht und Peter verloren sich jedoch in den 1960er Jahren aus den Augen, denn Ausbildung, Studium oder Armeezeit zerstreute sie in die Bezirke der DDR und nach Berlin. Mit dem Wechsel von Peter Luther nach Berlin war die Bindung völlig unterbrochen. Erst mit dessen Rückkehr zu Weihnachten 2018 nach Drohndorf gab es Gelegenheit, sich an die Familienfreundschaft zu erinnern.

Wiedersehen im Alter

Doch dank der oben genannten Recherchen von Albrecht kam etwas ans Tageslicht, wovon ihre Väter, Mütter und Geschwister und auch viele Generationen keine Ahnung hatten. Nämlich, dass die Familienfreundschaft bereits vor 500 Jahren ihren Anfang genommen hatte.

Im Ergebnis dieser erstaunlichen Feststellung, saßen endlich wieder Peter Luther und Albrecht Schneidewind im Oktober dieses Jahres nach vielen Jahrzehnten in Mehringen auf dem Hof der Familie Schneidewind zusammen. Sie ließen so manche Episode der geselligen Familienfeiern Revue passieren, die sie nach all der Zeit noch in erstaunlich guter Erinnerung hatten.