Ein Stück finnischer Wald mitten in Mehringen
Die finnische Band „Narinkka“ war diese Woche zu Gast im Ascherslebener Ortsteil und hat das Publikum auf eine Reise in ihre Heimat mitgenommen.
Mehringen/MZ – Mit „Tervetuloa!“ – dem finnischen „Willkommen“ – begrüßt Jana Stegbauer, Landesvorsitzende der Deutsch-Finnischen Gesellschaft, die Mitglieder der Band „Narinkka“, die aus dem hohen Norden in die Mehringer Kirche gekommen sind. Diese ist voll besetzt an diesem Abend: Nicht nur unten auf den Bänken haben Zuschauer Platz genommen, sondern auch auf der Empore. Interessiert beugen sie sich über das Geländer, um die Musiker nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Die Leute seien nach der Abstinenz durch Corona wieder hungrig nach Kultur, meint jemand im Publikum.
Auf eine musikalische Reise zu drei Orten soll es während des Konzertes gehen, kündigt „Narinkka“-Frontmann und Bassist Sampo Lassila zu Beginn des Konzerts auf Englisch an: in den finnischen Wald, in ein altes jüdisches Dorf und das moderne Helsinki. Prompt versetzt er die Anwesenden, gemeinsam mit Akkordeonist Markku Lepistö, Violinist Aleksi Trygg und Perkussionist Janne Tuomi, akustisch in die Tiefen des Waldes. Man spürt ihn fast, den Wind, der mal leise, mal laut durch die Bäume bläst. Zu einem späteren Zeitpunkt reisen die Gäste unter anderem in ein Einkaufszentrum in der finnischen Hauptstadt Helsinki, in dem sich scheinbar unzählige Menschen vor hell erleuchteten Schaufenstern tummeln.
Die Heimat nimmt in der Musik von „Narinkka“ – übrigens der Name eines Marktplatzes in Helsinki – einen hohen Stellenwert ein. Sie sei „die Grundlage des Lebens“, meint Aleksi Trygg. Aber auch die ursprünglich jüdische Tradition der Klezmer-Musik hat sich die Band zu eigen gemacht und ihr eine persönliche Note verliehen. Gefühle spielen in dieser Musikrichtung eine wichtige Rolle, sagt Sampo Lassila. Es gehe dabei auch um Freiheit. So drückt „Narinkka“ mit einem Stück aus der ukrainisch-rumänischen Grenzregion Bukowina auch die Solidarität mit dem ukrainischen Volk aus, das „für Freiheit und Demokratie kämpft“. Als Lassila und seine Bandmitglieder hingegen alte finnische Klezmer-Melodien gesucht haben, seien sie nicht fündig geworden. „Also mussten wir sie selber erfinden“, erklärt der Absolvent der Sibelius-Akademie die „Suomiklezmer“-Musik.
Es ist nicht das erste Mal, dass finnische Musiker in Mehringen auftreten. Die Tradition bestehe bereits seit mehreren Jahren, erläutert Jana Stegbauer. Dass die Wahl aber ausgerechnet auf den Ascherslebener Ortsteil fiel, sei eher Zufall gewesen, sagt Christine Hermsdorf, ebenfalls Mitglied der Deutsch-Finnischen Gesellschaft. Das erste Konzert habe eigentlich seinerzeit direkt in Aschersleben stattfinden sollen. Als das nicht klappte, sei Mehringen eingesprungen. Und weil es dort so gut lief, sei man eben dabei geblieben. Das Konzert von „Narinkka“ war eigentlich schon für 2020 geplant, so Jana Stegbauer. Coronabedingt habe es nun mit zwei Jahren Verspätung stattgefunden.
Der Stimmung tut die Terminverschiebung keinen Abbruch. Einige Zuschauer in der ersten Reihe wippen mit Kopf und Füßen im Takt der Musik. Während der Pause gönnen sich ein paar der Gäste finnisches Bier, Lakritz und Chips am Stand von Dirk Wermuth, einer der Betreiber des Quedlinburger Geschäfts „Little Finland“. Auch die Bandmitglieder schnappen während dieser Zeit frische Luft. Sie sind in der Vergangenheit bereits mehrfach in Deutschland aufgetreten, nun aber zum ersten Mal in Mehringen. Der Ort sei „wirklich sehr schön“, meint Janne Tuomi. Am deutschen Publikum, sagt Sampo Lassila, schätze er vor allem die Liebe zur Musik: „Das ist außergewöhnlich.“
Nachdem die Musiker das Konzert mit einem letzten Ausflug in den finnischen Wald und unter Applaus und stehenden Ovationen des Publikums beendet haben, gibt es für sie ein kleines Geschenk vom Gemeindekirchenrat. Tee und Kräuter aus der Region. So reist ein Stück Aschersleben mit ihnen nach Finnland. Und es wird deutlich – mit den Worten von Gemeindepfarrerin Dorothee Schmitt: „Kaum etwas verbindet Fremde so sehr wie Musik.“
Mitteldeutsche Zeitung von Anja Riske, 29.05.2022